In den vergangenen Wochen wurde in verschiedenen Medien über ein Endurteil des Oberlandesgerichtes (OLG) München (Az. 7 U 2338/20) zu Schadensersatzansprüchen aufgrund des Verlustes eines Rades nach dem Reifenwechsel berichtet. Der Landesverband des Kraftfahrzeuggewerbes Hamburg e.V. hatte dieses Urteil nicht veröffentlicht, da es sich hier offensichtlich um einen sehr speziellen Einzelfall der Rechtsfindung handelte. Das Urteil wurde in der Öffentlichkeit dann auch tatsächlich leider dahingehend kommentiert, dass ein Nachziehen der Radbefestigungselemente bei ordnungsgemäß angezogenen Radschrauben/ordnungsgemäßer Radmontage generell nicht notwendig/vorgeschrieben sei (Grundlage des Urteils war das Gutachten eines Sachverständigen). Im Falle eines nach der Rädermontage verlorenen/sich lösenden Rades kann durch dieses Urteil die Gefahr bestehen, dass Kfz-Werkstätten/Reifenservicebetrieben dann voll haften müssen. Aus rechtlicher Sicht kann nicht von einer Allgemeingültigkeit dieses Urteils ausgegangen werden, insbesondere, da es eine Vielzahl anderslautender Entscheidungen zur Haftung beim Nachziehen von Rädern gibt.
Nach Auffassung des ZDK und des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) ist die Ableitung aus dem vorliegenden Urteil des OLG München, dass generell auf ein Nachziehen verzichtet werden könne, auch aus den nachfolgend aufgeführten Gründen nicht gegeben:
- Der Verband der europäischen Räderhersteller EUWA weist in seinem Standard ES 1.07 vom Juni 2020 "Sicherheits- und Wartungshinweise für den Gebrauch von Rädern in Reifenwerkstätten" (Anlage 1) unter Punkt 3.7 explizit auf die technische Notwendigkeit des Nachziehens hin: "An einem neuen Fahrzeug und bei jedem Rad-/Reifenwechsel ist es unbedingt erforderlich, das Anzugsdrehmoment nach ca. 50 - 100 km Fahrleistung zu überprüfen und falls notwendig, die Radschrauben erneut bis zum korrekten Wert anzuziehen."
- Die Stellungnahme der führenden Hersteller aus dem BRV-Arbeitskreis Felgenhersteller (Anlage 2) fordert gleichlautend in Bezug zu Leichtmetallrädern, "das Nachziehen der Radschrauben bzw. Radmuttern als unabdingbar, um ein eventuell auftretendes Setzverhalten auszugleichen und ein ausreichendes Anzugsmoment dauerhaft sicherzustellen" und insbesondere bei der Erstmontage kann ein Setzverhalten am Radflansch auftreten, welches wiederum zu einem Verlust des notwendigen Anzugsmoments der Radbefestigungsteile führen kann. Die Richtlinie zur Prüfung von Sonderrädern des KBA trägt diesem Sachverhalt Rechnung und schreibt bei der Umlaufbiegeprüfung nach einem Teil des Prüfzyklus das Nachziehen der verwendeten Befestigungsteile vor. Dies gleicht das aufgetretene Setzverhalten aus und verhindert ein mögliches Lösen der Befestigungsteile".
Neben den erwähnten Anlagen überlassen wir Ihnen zur weiteren Information in Anlage 3 einen Auszug aus dem Verbandsmagazin für Reifenfachhandels- und Vulkaniseur-Handwerksbetriebe Trends & Facts, Ausgabe 3/21, mit dem Titel "Verzicht mit hohem Risiko" und in Anlage 4 das Urteil des OLG München. Damit ist der "Stand der Technik", der den Aussagen des Gutachters in dem Urteil widerspricht, eindeutig dokumentiert. Das Nachziehen von Radbefestigungsteilen ist eine bedeutende Sorgfaltsmaßnahme zum Schutz der Verbraucher, die immer im Vordergrund stehen muss und daher von Kfz-Werkstätten/Reifenservicebetrieben in der Regel als kostenfreie Serviceleistung angeboten wird.
Daher werden sowohl der BRV als auch der ZDK die bisherigen Empfehlungen zum Nachziehen von Rädern sowie zur Information des Kunden beibehalten. Sollten Kfz-Werkstätten/Reifenservicebetriebe mit Schadensersatzansprüchen konfrontiert werden, empfehlen wir im Falle gerichtlicher Auseinandersetzungen unbedingt auf den oben aufgeführten "Stand der Technik" zu verweisen.